1913 wurde die Oper "Pénélope" von Gabriel Fauré uraufgeführt und seither kaum wieder gespielt. Zu Unrecht, findet Susanna Mälkki, die das Werk bei den Münchner Opernfestspielen dirigiert und von der melodiereichen Farbenpracht schwärmt.

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Susanna Mälkki: Es ist ein faszinierendes Stück. Einerseits verfolgt Fauré einen sehr kammermusikalischen Ansatz, dann wieder verwendet er das gesamte Orchester in den größtmöglichen Farben. Wir hören Einflüsse sowohl von Debussy als auch von Wagner. Wichtig für die Interpretation ist vor allem, dem natürlichen Fluss der Musik, all ihren überraschenden Wendungen zu folgen und sie dramatisch darzustellen. Besonders die sehr emotionalen Momente. Die Oper ist auch eine Art Märchen, eine große Liebesgeschichte mit vielen fantastischen Elementen. Wir erleben Verzweiflung, das Spiel des Schicksals, dazu Gewalt und Rache – beste Zutaten, die wir in der Oper hören wollen.

BR-KLASSIK: Fauré hat seine einzige Oper “Pénélope” 1913 komponiert, da war er 68 Jahre alt, also kein junger Bursche mehr. Vielmehr war er ein großer Verehrer der Musik von Richard Wagner. An dessen Leitmotivtechnik hat er sich beim Komponieren orientiert. Andererseits haben Sie Debussy erwähnt – was überwiegt?

Susanna Mälkki: Ich glaube, wir müssen uns da nicht entscheiden. Das wäre auch unfair. Weil wir Fauré selbst im Original hören können, besonders in der Art und Weise, wie er Melodien schreibt. An Debussy erinnern diese äußerst schlanken rezitativartigen Passagen mit viel Text. Hier begleitet das Orchester sehr leicht, geschmeidig und transparent. In den glorreichen, heroischen Momenten hören wir den Einfluss von Wagner. Was die Technik der Leitmotive betrifft, benutzt Fauré sie eher als Signatur von Personen oder Situationen. Das macht er sehr intelligent. Zum Beispiel verwendet er für eine Person ein bestimmtes Intervall, mal einen Halbton, mal eine Quinte. Die Partitur hat insgesamt eine sehr klare Architektur und Konstruktion. Der Fluss der Musik wirkt spontan, aber zugrunde liegt eine sehr solide Struktur. Mich fasziniert es, wie Fauré Schritt für Schritt die Geschichte enthüllt und die fantastischen Elemente eines Märchens darin einfügt.

Die Stimme führt, nicht das Orchester

BR-KLASSIK: Der Komponist Fauré war über Frankreich hinaus bekannt für seine vielen Lieder und Chansons. Inwiefern schlägt sich das in seiner Oper nieder?

Susanna Mälkki: Das hört man absolut. Fauré hat so schöne Melodien in dieser Oper geschrieben, nicht unbedingt sehr viele Arien. Besonders für Pénélope und Ulysse hat er vokale Linien geschaffen, die über dem Orchester schweben wie zwei Adler. Keine Frage: Fauré war ein Experte für Stimme, und er wusste genau, wie er aus Texten Geschichten und Emotionen formen kann. Das könnte auch den Unterschied ausmachen zwischen dem deutschen und dem französischen Ansatz. Denn meiner Meinung nach führt in diesem Stück wirklich die Stimme, nicht das Orchester. Egal, ob in den harmonischen Modulationen oder in den dramatischen Entwicklungen, die Stimme weist immer den Weg. Das ist wunderbar.

BR-KLASSIK: Die Rolle des Ulysse übernimmt der US-amerikanische Tenor Brandon Jovanovich und die Hauptpartie der Pénélope singt die russische Mezzosopranistin Victoria Karkacheva. Wie passen die beiden stimmlich als Paar zusammen?

Susanna Mälkki: Sie passen wunderschön zusammen. Eine Tenorstimme für den Helden hat Tradition. Aber dass Fauré für die Protagonistin einen Mezzosopran gewählt hat, das ist interessant. Und in unserer Produktion hat Victoria Karkacheva wirklich dieses sonore Altregister. Beide sehen auf der Bühne so schön zusammen aus. Sie klingen großartig, haben eine wunderbare Präsenz und einen Kern in der Stimme. Dabei singen sie nicht sehr viele Duette. Denn im Grunde bleiben die Figuren jeweils in ihrem eigenen Traum. Diese Oper zu besetzen, ist nicht einfach. Das könnte ein Grund sein, warum sie nicht sehr oft aufgeführt wird. Denn die Sängerinnen und Sänger müssen sowohl das sehr intime, lyrische Singen beherrschen, als auch die Ressourcen für die wirklich großen Momente haben, wenn das volle Orchester spielt – also die ganze Bandbreite der stimmlichen Fähigkeiten. Und das haben die beiden.

Wie klingt das Happy End und was macht die Inszenierung daraus?

BR-KLASSIK: In Homers literarischer Vorlage wird Penelope von den Freiern bedrängt, endlich einen von ihnen zu heiraten, sie aber klammert sich an die letzte Hoffnung, dass Odysseus zurückkehren wird. Das erscheint eher unrealistisch. Wie illustriert Fauré das in seiner Oper?

Susanna Mälkki: Fauré schreibt relativ bedrohliche und fast aggressive Musik für die Freier, die sie heiraten wollen. Aber eigentlich wollen sie ja König werden und im Palast wohnen. Unter diesen Freiern gibt es verschiedene Persönlichkeiten. Einen, der Pénélope verführen will. Ein anderer will ihr Angst einflössen und sie zum Gehorsam zwingen. Ein Dritter ist schlicht ungeduldig. Sehr interessant ist, wie Pénélope sich zu ihnen verhält. Sie wirkt sehr reif und gefasst gegenüber den aggressiven Freiern. Äußerst edel schwärmt sie von der Liebe zu Ulysse, den sie zum Idol stilisiert. Fauré hat hier sehr gute musikalische Kontraste komponiert. Die Freier spionieren ihr nach, Pénélope hat ihre Strategie, die Zeit zu verzögern, bis sie nachgeben muss. Und nach und nach entwickelt sie eine starke Entschlossenheit, schon fast besessen spürt sie mit absoluter Klarheit, dass Ulysse zurückkehren wird. Victoria Karkacheva möchte sie deshalb als eine starke Frau darstellen, die über zehn Jahre auf ihren Ehemann gewartet hat. Pénélope hat also eine sehr reiche Bandbreite an Gefühlen, was sich im Gesang spiegelt. Und die Freier sind im Grunde die bösen Jungs der Oper.

BR-KLASSIK: Die Inszenierung von Regisseurin Andrea Breth dreht sich auch um die Frage, ob ein Aufeinandertreffen des jahrelang getrennten Herrscherpaares Pénélope und Ulysse harmonisch verlaufen kann oder eher mit Entfremdung und Enttäuschung einhergeht. Was sagt die Musik dazu, was steht in der Partitur?

Susanna Mälkki: Ich denke, Fauré ist am Ende so glücklich, wenn sie sich wiedervereinen. Das ist offensichtlich und auch sehr romantisch. Er komponiert einen großen Höhepunkt mit Klängen der Begeisterung für den Chor, als das Volk jubelt, dass Ulysse zurückgekehrt ist. Fauré ist erleichtert, dass das Gute gewinnt. Und die Inszenierung geht damit sehr intelligent um, sie regt zum Nachdenken an. Natürlich werde ich nicht verraten, was gezeigt wird, aber auf der Bühne stehen zwei Menschen, die viel erlebt haben. Mein Eindruck ist, dass Fauré wirklich an diese Geschichte geglaubt hat. Allein im ersten Akt, als Ulysse bereits im Palast ist, die Leute ihn aber noch nicht erkannt haben. Dann sieht er Pénélope zum ersten Mal… er ist total aufgeregt, dankt sich: “Oh mein Gott, das ist meine Frau!” Einfach so berührend.

“Pénélope” von Gabriel Fauré: Für Susanna Mälkki ein Meisterwerk

BR-KLASSIK: Es passiert nicht oft, dass an der Bayerischen Staatsoper zwei Frauen für eine Premiere verantwortlich sind. Wie verlief Ihre Zusammenarbeit mit Andrea Breth?

Susanna Mälkki: Für mich war es eine große Freude mit ihr zusammen zu arbeiten. Sie besuchte alle musikalischen Proben. Viele Regisseure machen das nicht. Ich wiederum war auch bei allen Inszenierungsproben anwesend und das hat uns gegenseitig sehr bereichert. Mir gefällt, dass die Regie manchmal die Emotion der Musik aufgreift und manchmal genau dazu einen Kontrapunkt setzt. Gerade in den kleinen Nuancen erkennt man sehr viel Menschenkenntnis. Andrea Breth hat neben ihrem großen Handwerk auch viel Humor. Und dass die Bayerische Staatsoper dieses selten gespielte Stück jetzt auf den Spielplan setzt, finde ich großartig. Denn es ist wirklich ein Meisterwerk mit großartigen Melodien. Ich gratuliere dem Haus und dem Direktor, Serge Dorny, zu dieser fantastischen Wahl. Das muss man gesehen haben – einfach unglaublich.